Unter Befürwortern und Kritikern der Rohkosternährung gibt es eine leidenschaftliche Diskussion darüber, ob Rohkost die ideale, weil natürlichste Ernährungsweise für den Menschen ist. Wer meine Veröffentlichungen zu Ernährungsthemen kennt, weiß, dass ich Rohkostqualität durchaus betone, aber eben nicht als durchgehend „ideal“ ansehe. Und das hat seine Gründe. Lesedauer: 4 Minuten Grüne Smoothies, Kokosöl, Rohmilchbutter, Nüsse, Trockenfrüchte und natürliche Nahrungsergänzungsmittel bilden als Rohkostmahlzeit eine wichtige Basis der Befreiten Ernährung. Warum propagiere ich dann nicht gleich eine komplette Rohkosternährung? Schauen wir uns zunächst einige der in dieser Diskussion immer wieder angeführten Argumente an. Von Seiten der Rohkost-Befürworter heißt es immer wieder, kein Tier kocht seine Nahrung und das sei das schlagende Argument für die Unnatürlichkeit aller erhitzten Nahrungsmittel.

Was heißt schon „natürliche Ernährung“?

Stimmt, kein Tier kocht, aber 80 Prozent dessen, was Rohköstler in der modernen Zivilisation essen, würde weder ein Tier noch ein Urmensch essen können. Die Superfoods und das rohe Cashewmus aus allen möglichen Ländern, die herrlichen Datteln der verschiedenen Rohkostversand-Anbieter, die im Mixer, Dörrgerät oder Entsafter zubereiteten Köstlichkeiten, nichts davon wäre unter wilden, tierischen oder urmenschlichen Lebensbedingungen erhältlich. Auch die Instinkto-Rohköstler, die auf Zubereitungen verzichten, greifen auf eine Lebensmittelauswahl zurück, die kein Tier oder Urmensch je zur Verfügung hätte. Der Steinzeitmensch hätte eher ein Tier erlegen und das Fleisch mit Feuer zubereiten als bei Orkos Durianfrüchte bestellen können. Insofern ist die Frage nach der Natürlichkeit eher eine philosophische: Welchen Aspekt der Veränderung der natürlichen Umstände befürworten wir mehr? Eine weiteres beliebtes Pro-Rohkost-Argument ist die molekulare Veränderung der Nahrung. Enzyme, Vitamine, manche sekundäre Pflanzenwirkstoffe und Eiweißstrukturen werden denaturiert, abgebaut, deformiert, wenn Hitze auf sie einwirkt. Gleichzeitig entstehen die nach Louis Camille Maillard benannten sog. „Maillard-Moleküle“, die in der Natur so nicht oder kaum vorkommen und die unser Immunsystem irgendwie entsorgen muss. Hier finden wir schlagkräftige Argumente für Rohkost als einen wesentlichen Bestandteil einer gesunden Ernährung. Das Gegenargument der Rohkost-Kritik, dass Kochen die Verdauung erleichtert und wir mit Rohkost deshalb viel mehr essen müssten, um überhaupt satt zu werden, ist angesichts der empirischen Erfahrungen mit Rohkost ziemlich schwach. Sehr häufig (wenn auch nicht immer) erleben Menschen bei einem erhöhten Rohkost-Anteil in der Ernährung zu ihrem Erstaunen, dass sie weniger essen als vorher. Viele Rohkost-Experimente wie das des japanischen Arztes Dr. Kuratsune haben aufgezeigt, dass z.B. der Eiweißbedarf bei Rohkosternährung deutlich sinkt, weil Eiweiß in roher Form offenbar besser verwertet wird.

Rohkost? Ja sicher!

Einen guten Anteil an Rohkost in die Ernährung zu integrieren, macht Sinn, wenn man folgende Dinge beachtet:
  • Es gibt Lebensmittel, die in roher Form wertvoller sind und keine Probleme verursachen: Frische Früchte, Trockenfrüchte, Kokosöl, Kokosmus, Nüsse (in maßvollen Mengen), Rohmilchbutter, grüne Blätter aller Art.
  • Es gibt Lebensmittel, die in roher Form nicht besser sind: Auberginen, Brokkoli, Hülsenfrüchte, Rosenkohl wären einige Beispiele. Es ist wenig sinnvoll, mit irgendwelchen aufwändigen Zubereitungen aus solchen Zutaten halbwegs genießbare Rohkostgerichte zu machen. Viele Substanzen in diesen Lebensmitteln sind eine echte Plage für den menschlichen Verdauungstrakt und werden durch Kochen elegant abgebaut. Hülsenfrüchte enthalten auch in gekeimter Form immer noch fiese Enzymhemmer, die uns Mineralstoffe entziehen und Drüsenfunktionen blockieren können.
Ob Rohkostqualität oder Erhitzung besser ist, hängt auch manchmal vom individuellen Menschen in Bezug auf bestimmte Lebensmittel ab. So gilt Grünkohl wegen seiner hohen Vitalstoffdichte als sehr wertvolle Zutat für Grüne Smoothies, was er auch ist – es sei denn, es liegt eine Unterfunktion der Schilddrüse vor. In diesem Fall sind die Goitrogene, die eine bereits geschwächte Schilddrüse weiter hemmen können und die in allen Kohlsorten vorkommen, nachteilig und ein gekochtes Kohlgericht wäre weniger bedenklich, als roher Kohl.

100% roh? Nicht notwendig!

Eine 100%ige Rohkosternährung kann ausgesprochen heilkräftig bei chronischen Erkrankungen sein. Ich habe großartige Erfolge der konsequenten Rohkost bei Krebs, Arthritis, Diabetes, Osteoporose und unzähligen weiteren Krankheiten erlebt.
Aber eine wirksame Heilkost ist auf Dauer nicht immer die beste Ernährung. Viele Krankheiten können auch durch 14- bis 21-tägige Fastenkuren maßgeblich gebessert oder geheilt werden.
An der gleichen Fastenkur würden Menschen aber nach einigen Monaten sterben.

Ernährung ist wichtig, aber nicht alles im Leben

Überzogene Erwartungen an eine „perfekte“ Ernährung, wie es sie in der Rohkostszene oftmals in Bezug auf die reine Rohkosternährung gibt, entfremden den Menschen von sich selbst. Gesundheit hat viele Aspekte und innerlich in Frieden mit der eigenen Ernährung zu sein, Essen als soziales Geschehen mit Anderen genießen zu können und vor allem die eigene Einzigartigkeit über jedes noch so idealisierte Konzept zu stellen, sind sehr wichtige Komponenten eines nachhaltig gesunden Lebensstils. Schlussfolgernd würde ich sagen, dass die Rohkosternährung viel Wissen über heilkräftige und gesunde Ernährung zusammengetragen hat. Gleichzeitig erlebe ich nur sehr wenige Menschen, die auf Dauer mit einer reinen Rohkosternährung glücklich sind. Auch energetische Aspekte, wie die leicht zu spürende Erdung und Zentrierung, die durch liebevoll zubereitete warme Nahrung erlebt werden kann, können manchmal wichtiger sein, als der perfekte Enzymgehalt einer Mahlzeit, die man isst, während man eigentlich lieber etwas Anderes essen würde. Wir können von dem wertvollen Wissen über Rohkost ebenso profitieren, wie von der Weisheit alter Medizinsysteme wie Ayurveda, von dem Geschenk, das uns liebe Menschen mit einer schönen Essenseinladung machen und unserem eigenen feinen Gespür für unsere Bedürfnisse. Je weniger wir aus Ernährung und den dazu reichlich angebotenen widersprüchlichen Theorien ein Problem machen, umso leichter werden wir zu der für uns passenden gesunden Ernährung finden.

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