Zum Thema „bewusste Atmung“ gibt es zahlreiche Übungssysteme, die alle einen gewissen Wert besitzen. Da Atmung die einzige Körperfunktion ist, die autonom abläuft, die wir aber gleichzeitig willentlich regulieren können, wurde der Atem schon in vielen alten Kulturen als Brücke zum Unbewussten und in andere Bewusstseinssphären generell angesehen. So befasst sich eine Lehrrede des Buddha, die aufgezeichnet wurde, ausschließlich mit der bewussten Beachtung der Ein- und Ausatmung.
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Nun gibt es einen wesentlichen Faktor, der entscheidend mitbestimmt, ob wir vom Praktizieren bestimmter Atem- und Körperübungen auch voll profitieren: der spezifische Atemtyp, zu dem wir gehören. Das Thema „Atemtypen“ wurde in der europäischen Kultur zwar bereits im antiken Griechenland behandelt, doch über die damaligen Erkenntnisse und daraus resultierenden Methoden liegen nur unvollständige Aufzeichnungen vor. Ein begabter Violinist namens Erich Wilk entdeckte die zwei fundamentalen Atemtypen während seiner dreijährigen Kriegsgefangenschaft in Nordafrika im Zweiten Weltkrieg.
Er beschrieb den sog. „Einatmer“ oder „lunaren Typen“, der die Einatmung aktiv generiert und die Ausatmung passiv geschehen lässt, sowie den „Ausatmer“ oder „solaren Typen“, der aktiv ausatmet und die Einatmung passiv geschehen lässt. Einatmer können mehr körperliche Kraft während der Einatmung generieren, Ausatmer entsprechend bei der Ausatmung.
Diese Veranlagung bleibt laut Erich Wilk ein Leben lang bestehen. Erich Wilk begründete das System der Terlusollogie, das Menschen darin schult, ihrem Atemtyp entsprechend Atmung, Körperhaltung, Bewegung und andere Lebensaspekte zu gestalten. Unter klassischen Sängern ist die Terlusollogie recht gut bekannt, weil die Berücksichtigung des Atemtyps in der Ausbildung der Stimme sehr hilfreich ist. Generell ist es mein Eindruck, dass dieses wertvolle Wissen im Vergleich zu vielen anderen Konzepten in der ganzheitlichen Gesundheitspflege noch längst nicht die gebührende Verbreitung gefunden hat.
Die Entdeckung von Frieder Anders
Frieder Anders ist der erste Europäer, der den Titel eines Taiji-Meisters verliehen bekam. Er ist ein Linienhalter des Yang-Stils und Begründer des sog. „Atemtyp-Taiji“. Frieder Anders bemerkte in seiner eigenen Praxis und Untersuchung der Taiji-Tradition, dass es bei verschiedenen Meistern Variationen in der Körperhaltung beim Praktizieren der Taiji-Formen gab. Doch diese Unterschiede wurden nie systematisiert, ein Meister lehrte einfach das, was für ihn am besten funktionierte, um die innere Kraft des Taiji zu entwickeln. Frieder Anders stellte jedoch in seinem Unterricht fest, dass die für ihn passende Körperhaltung in den verschiedenen Positionen des Taiiji für manche seiner Schüler sehr gut funktionierte, für andere hingegen nicht.
Aufgrund seiner Beobachtungen konzipierte er schließlich das Atemtyp-Taiji, das die Unterschiede zwischen Einatmern und Ausatmern anerkennt und im Unterricht berücksichtigt. Meine eigene Erfahrung mit vielen Praktiken aus den inneren Kampfkünsten, zu denen auch das Taiji gehört, war zumeist die, dass viele Übungen auf eine bestimmte Weise in Bezug auf Atmung und Körperhaltung gelehrt werden, die für meine eigene Veranlagung nicht ideal war. Durch ein Anpassen der Übungen aus Qigong, Taiji, Neigong, Yoga und anderen an sich sehr guten Übungssystemen für den jeweiligen Atemtyp werden diese viel effektiver.
Typegerechte Körperübungen verjüngen
Vorzeitiges Altern hat letzten Endes immer den gleichen Grund: einen überhöhten Verbrauch an Lebensenergie für Lebensprozesse, die eigentlich viel effizienter gestaltet werden könnten. Wer Körperübungen, Energieübungen und Atmung nicht dem eigenen Atemtypen entsprechend durchführt und generell die eigene Körperhaltung nicht typengerecht gestaltet, verbraucht unnötigerweise Lebensenergie. Auf der Ebene des Stoffwechsels führt eine disharmonische Atmung zu einer erhöhten Produktion an freien Radikalen und säurebildenden Stoffwechselprodukten wie dem sog. „Pyruvat-Laktat-Komplex“. Lernt man dagegen, dem eigenen Atemtyp entsprechend zu atmen und die Körperhaltung sowie spezifische Körperübungen zu gestalten, wird Lebensenergie effizienter genutzt, die Sauerstoffnutzung wird effektiver und dadurch werden freie Radikale reduziert.
Verjüngungsübungen nach den Atemtypen
Zu den besonders effektiven Übungen zur Verjüngung und zum Erhalt der Lebenskraft bis ins hohe Alter gehört die sog. „Stehende Säule“, die eine Basisübung im Taiji und in anderen inneren Kampfkünsten bildet.
Untersuchungen in chinesischen Kliniken, in denen traditionelle taoistische Methoden mit westlicher Medizin kombiniert werden, haben gezeigt, dass nur 15–20 Minuten dieser Übung die Produktion an HGH um 200–300 Prozent erhöhen.
HGH ist für ausgewachsene Menschen ein ausgesprochen wichtiges Hormon für den Erhalt von Knochen- und Muskelmasse und zur Regeneration allgemein. Mit erhöhter HGH-Produktion geht auch eine erhöhte Produktion von Sirtuinen einher, das sind Proteine, die gezielt Schäden an Zellmembranen reparieren. Sirtuine werden produziert, wenn wir länger als 12 Stunden ohne Nahrung nüchtern bleiben, was ein wichtiger Grund für die Zyklen des gesunden Hungers in der Befreiten Ernährung ist. Man kann aber die Zeit ohne Nahrung noch sehr viel effektiver zum Ankurbeln der Sirtuinproduktion und damit zum Verjüngen nutzen, wenn man in dieser Zeit die Stehende Säule praktiziert. In traditionellen Systemen wird diese Übung aber meistens nur in einer Form unterrichtet, die dann dem Atemtyp des Gründers dieses Systems entspricht. Wenn dies nun nicht dem eigenen Atemtyp entspricht, wird der Wert der Übung deutlich gemindert. Lernt man dagegen, die Stehende Säule dem eigenen Atemtyp entsprechend zu praktizieren, so steht einem eine der effektivsten Möglichkeiten zur Verfügung, Verjüngung und Vitalität zu unterstützen.
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