Gesundheit ist laut WHO definiert als „Zustand des vollständigen körperlichen, geistigen und sozialen Wohlbefindens“. Man könnte also sagen, Gesundheit ist tiefe, ganzheitliche Zufriedenheit.

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Mit dem Erreichen von Zufriedenheit hat die Menschheit offensichtlich gewisse Schwierigkeiten: Zum einen gehörte es oftmals nicht zu den Prioritäten von Gesellschaftsformen in der Geschichte der Menschheit, dass Menschen zufrieden waren, sondern vielmehr, dass sie religiösen oder gesellschaftlichen Normen entsprachen. Zum anderen hatten die Gesellschaften, die sich von der übermäßigen Maßregelung des Individuums frei gemacht hatten, oftmals viele Dinge im Angebot, die zwar Glück versprachen, dabei aber dem entsprachen, was ich vor Kurzem als Werbetext in einer Chocolaterie gelesen habe: „So ist es mit der Schokolade: Erst macht die glücklich, dann ist sie auf einmal weg.“

Die Spannung zwischen gesellschaftlicher Norm und der Suche des Individuums nach Glück ist wohl so alt wie die Menschheit selbst. In der griechischen Antike wurde der Mensch noch als Spielball der Götter angesehen und Opferrituale und den Göttern zu gefallen waren von großer Bedeutung für das Selbstverständnis des Menschen. Homers Odysseus wagt es, den Göttern zu sagen, er habe Troja durch seine eigene List ohne ihre Hilfe besiegt, und wird prompt zur Strafe auf eine lange Irrfahrt geschickt. Aber seine geliebte Schutzgöttin Athene führt ihn dann doch sicher nach Hause. Dieses Bild vom Menschen findet sich auch in der ersten der sechs philosophischen Systeme der Veden (des Hinduismus’), der Purva Mimamsa. Hier wird der Mensch als ein schutzbedürftiges Wesen betrachtet, das auf die Götter angewiesen ist. Es gibt strenge gesellschaftliche Normen wie das Kastenwesen und der Mensch ist allgemein auf Gedeih und Verderb himmlischen und dämonischen Mächten ausgeliefert.

Einfach zufrieden und glücklich sein! Geht das?

Sowohl in der griechischen Antike als auch in der vedischen Kultur gab es schließlich auf diese Sichtweise eine revolutionäre Antwort von Philosophen, die den Menschen und sein Bedürfnis, glücklich zu sein, in den Vordergrund stellten. Epikur lehrte, dass den Göttern zu opfern nutzlos sei, dass es kein Leben nach dem Tod gebe und dass eine achtsame Lebensführung der Schlüssel zum Sinn des Lebens – einfach zufrieden und glücklich zu sein – sei.

Die vedische Vaisheshika-Philosophie geht ebenfalls über den kindlichen Götterkult der Purva Mimamsa-Sichtweise hinaus und stellt das menschliche Glück ins Zentrum der Aufmerksamkeit. Sowohl Epikur als auch Vaisheshika lehren, dass glücklich zu sein, Achtsamkeit im Umgang mit dem Leben und gesunde Disziplin voraussetze und dass schnelllebigen Vergnügungen nachzujagen nur unglücklich mache. Nicht umsonst resultiert aus der Vaisheshika-Lehre das Kamasutra und auch Epikur warnte seine Schüler vor Orgien und rein triebhafter Sexualität. Eine bewusste, entschleunigte Nutzung der Sinne, der Nahrung, der Sexualität wurden in beiden Philosophien als essenziell für das menschliche Glück angesehen.

Zurzeit erleben wir in der westlichen Welt wiederum eine Renaissance der Wertbetonung des Individuums. Menschen in westlichen Ländern haben so viel Freiraum in der Gestaltung ihres Lebens wie wohl noch nie zuvor in zivilisierten Gesellschaften. Religionen verlieren an Bedeutung und rigide Moralvorstellungen und die patriarchale Vorherrschaft der Männer gelten als überholt und sind weitgehend durch menschenfreundlichere Sichtweisen ersetzt worden. Gleichzeitig steigt das Angebot an Ablenkungen und Stimulationen, die nicht zu einer nachhaltigen Zufriedenheit führen, und gerade in diesem Punkt haben wir heute mehr Gelegenheit, Überreizung und damit Unzufriedenheit zu erleben als je zuvor.

Wie real ist die Erwartung von Glück durch die Erfüllung anderer Erwartungen?

1962 veröffentlichte der Soziologe James Davis seine These „Towards a Theory of Revolution“, in der er folgende Aussage machte:

Wenn Menschen zu einer effektiveren Erfüllung ihrer Bedürfnisse gelangen, z.B. durch technischen Fortschritt, führt dies nicht zu mehr Zufriedenheit, sondern zu steigenden Erwartungen an noch mehr und schnellere Befriedigung der nun zunehmenden Bedürfnisse. Irgendwann wird die Diskrepanz zwischen Erwartung und realer Befriedigung unerträglich groß.

In vielen Gesellschaften kam es an diesem Punkt zu Revolutionen oder Massenmigration.

An dieser Stelle können wir einmal uns selbst betrachten und uns fragen: Wo gehe ich davon aus, dass ich glücklicher werde, wenn sich bestimmte Erwartungen erfüllen? Gefühlt mag sich eine solche Projektion in die Zukunft sehr real anfühlen, aber wie real ist die Erwartung von Glück durch die Erfüllung anderer Erwartungen?

Wie oft hat schon in jedem von uns das Prinzip gegriffen, das Davis beschreibt, dass wir nach der Erfüllung bestimmter Erwartungen nicht zufriedener wurden, sondern unsere Ansprüche nun höher schraubten?

Die unerträgliche Diskrepanz zwischen Erwartung und Realität

Heutzutage stehen an diesem Punkt der unerträglichen Diskrepanz zwischen Erwartung und Realität vielleicht eher die Suchterkrankung, der Burnout, die Depression und leider auch häufig der Selbstmord. Beispielhaft dafür ist Südkorea, ein Land, das noch im Jahre 1985 arm und wirtschaftlich unterentwickelt war. Heute ist Südkorea eines der wirtschaftlich produktivsten Länder der Welt. Seit 1985 hat sich die Selbstmordrate in Südkorea vervierfacht.

Doch auch heute gibt es weise Mahner, die uns wachrufen, damit wir in der Suche nach Zufriedenheit nicht dem schnelllebigen Glitzer der Konsumgesellschaft verfallen. Vielleicht gilt eines Tages Jon Kabat Zinn als Epikur der Neuzeit. Kabat Zinn hat es geschafft, die Schätze der Achtsamkeitsmeditation vom religiösen Aspekt des Buddhismus zu lösen und als von Glauben unabhängige Praxis in der Gesellschaft zu etablieren. In einem Vortrag, den ich kürzlich per Live-Schaltung auf der MIND-Konferenz erleben durfte, antwortete er auf die Frage, wie man das wichtige Prinzip der Achtsamkeit im geschäftigen modernen Leben umsetzen könne:

„Setze deinen Arsch auf ein Kissen, jeden Tag.“

Eine recht unverblümte Aufforderung, dem Meditationskissen entsprechenden Wert und auch Zeit einzuräumen. Die Ergebnisse sprechen für sich, denn durch eine gesunde Disziplin und regelmäßige Übung der Aufmerksamkeitspraxis beruhigen sich Stressparameter im Nervensystem, die Sinne werden bewusster erfahren, weniger Stimulation und Ablenkung sind notwendig.

Epikur, Vaisheshika, Kabat Zinn, der Buddha und die vielen anderen Stimmen der Weisheit weisen uns darauf hin, dass Glücklich-Sein sehr wohl möglich ist und dass es unseren bewussten Einsatz fordert, diesen Zustand in uns zu finden. Wie ein Neurologe, der buddhistische Mönche in ihren Meditationen untersuchte, einmal sagte:

„Glück ist eine Fähigkeit. Wer übt, wird immer besser.“

Bild: Photo by Timo Stern on Unsplash