Der menschliche Körper besteht zu mehr als der Hälfte aus Beinen. Bewegung ist eine natürliche Veranlagung des Körpers und bis zur industriellen Revolution war es normal, in Bewegung zu sein und nur selten zu sitzen. Das hat sich mittlerweile massiv geändert. Wir sind ein Volk der Sitzer geworden, der Bewegungslegastheniker.
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Auch intellektuelle Arbeit wurde lange Zeit nicht überwiegend im Sitzen durchgeführt. Schreibkontore, in denen Angestellte von Banken oder Handelsgesellschaften ihre Arbeit im Stehen ausübten, waren ebenso normal wie das Stehpult, an dem Goethe seine Werke verfasste. Es ist überliefert, dass der große Dichter niemals im Sitzen schrieb, auch nicht im hohen Alter. Griechische Philosophen hatten oftmals Wandelhallen, in denen die Lehrer und ihre Schüler geschützt vor der heißen Sonne existenziellen Fragen des Lebens im gemütlichen Schlendern nachgingen. Erst nach 1850 verbreitete sich das Sitzen als ein Körpermodus des Alltags.
Sitzen fördert chronische Erkrankungen
Inzwischen gehen viele Experten davon aus, dass die meisten Menschen zu viel sitzen und dies mit etwas Ausgleichssport nicht kompensiert werden kann. So ist z.B. Dr. James Levine, leitender Arzt der renommierten Mayo-Klinik in den USA der Meinung, dass mindestens 24 chronische Krankheiten durch exzessives Sitzen zumindest mit verursacht werden. Auch wenn Ernährung für die Regulierung unseres Blutzuckers eine wesentliche Rolle spielt, ist es auch zutreffend, dass langes Sitzen die gefürchtete Überproduktion an Insulin stimuliert, was Insulinresistenz, Blutzuckerschwankungen und letzten Endes auch Diabetes verursachen kann. Wir können auch die beste Nahrung für unsere Gesundheit nur so gut verwerten, wie der Körper in der Lage ist, sie in gesunde Stoffwechselprozesse einzubinden, und da ist zu langes Sitzen ein Störfaktor. Dr. Levine erledigt seine Arbeit am Computer auf einem Laufband. Diverse Firmen bieten, angeregt durch die Forschungsarbeit von Dr. Levine, ihren Mitarbeitern Laufbänder oder Vorrichtungen an, die einem Hamsterrad ähneln und mit deren Hilfe man ein bequemes Gehtempo für Büroarbeit wählen kann. Dr. Levine spricht gerne davon, dass langes Sitzen heute das ist, was Rauchen früher war, eine gesellschaftlich völlig akzeptierte Form, die eigene Gesundheit zu ruinieren.
Sitzen und Lernen
In meinen Lernseminaren besteht die erste Lektion immer darin, nie länger als 20–25 Minuten am Stück im Sitzen zu lernen. Spätestens nach dieser Zeitspanne sinkt die Produktion an Neurotransmittern und Lernen wird anstrengend. Dies ist der Punkt, an dem die Konditionierungen des Schulsystems greifen, denn eine Schulstunde mit ihren 45 Minuten ist viel zu lang, als dass ein kindliches Gehirn sich über diese Zeitspanne im Sitzen ohne Bewegung konzentrieren könnte. Auch wenn heutzutage viele engagierte Lehrkräfte Bewegung spielerisch im Grundschulunterricht einbauen, haben die meisten von uns wohl noch gelernt, still zu sitzen, nicht zu zappeln und Willenskraft aufzuwenden, um die völlig natürlichen Bewegungsimpulse, über die sich das Gehirn Nachschub an Neurotransmittern verschaffen will, zu unterdrücken. Setzt diese Konditionierung ein, wendet man entweder Willenskraft auf, um gegen die Bedürfnisse des Körpers weiter zu lernen oder man gibt auf und fühlt sich dann meistens erleichtert und schuldig zugleich.
Regelmäßige Bewegungspausen alle 20 Minuten
Einfach nur eine Bewegungspause von zwei bis drei Minuten alle 20–25 Minuten einzubauen, kann jede Art von mentaler Tätigkeit enorm bereichern. Der Blutzuckerspiegel wird reguliert, Neurotransmitter werden wieder produziert und man wird den kleinen Zeitverlust durch eine sehr viel bessere geistige Leistungsfähigkeit und Freude an der Arbeit mehr als wettmachen.
Sechs mal 20 Minuten zu lernen oder zu arbeiten mit kleinen Bewegungspausen ist viel produktiver, als zwei Stunden am Stück zu ackern, sich danach mental erschöpft und körperlich steif zu fühlen und mit einem unangenehmen Gefühl aus der Arbeit herauszugehen.
Bewegungspausen am Arbeitsplatz sollten idealerweise von Chefs unterstützt werden. Niemand sollte sich schlecht fühlen, wenn er/sie einem ganz natürlichen Körperbedürfnis nachgibt, dass die eigene Arbeitsleistung verbessert und langfristig die Wahrscheinlichkeit von Fehlzeiten durch Krankheit reduziert. Ich hoffe sehr, dass die gesellschaftliche Haltung zum Thema Sitzen und Bewegung eine ähnliche Wandlung vollzieht, wie es in der allgemeinen Haltung zum Thema Rauchen in der Öffentlichkeit bereits geschehen ist. Wer sich nicht gleich ein Laufband am Arbeitsplatz installieren möchte, kann der Gesundheit mit regelmäßigen kurzen Bewegungspausen viel Gutes tun. Lernen sollte immer mit Bewegung gekoppelt werden. Natürlich lesen wir zumeist im Sitzen, aber Pausen, in denen wir gehend über das Gelesene reflektieren oder aber kurze Bewegungsübungen verbessern unsere Lernleistung erheblich.